Unter Verdacht
Familie Melzer feiert Weihnachten. Vater Kurt ist stolz, weil er diesmal einen besonders schönen Christbaum organisiert hat. Am Weihnachtsabend werden die Geschenke überreicht: ein spießiges Ritual, das nicht gerade für innige Beziehungen innerhalb der Familie spricht. Tochter Karin möchte noch ins Theater gehen; auf dem Spielplan steht Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ – der Titel des Kultstücks einer jungen Generation bleibt indes unerwähnt. Katrins Vater ahnt sofort, dass seine Tochter dort mit ihrem Freund Frank verabredet ist. Karins Eltern lehnen den jungen Mann ab, offensichtlich aus politischen Gründen; was genau gegen ihn vorliegt, erfährt Karin erst viel später: Frank steht im Verdacht, die DDR illegal verlassen zu wollen. Dafür gibt es freilich nur einen Brief aus dem Westen als vages Indiz. Allein dieser Verdacht gibt Kurt Anlass genug, sich um seine Position als Kreisratsvorsitzender der SED und um seine politische Karriere zu sorgen. Frank sei „kriminell“, so warnt er seine Tochter, und „habe was vor“. Karins Mutter verhält sich nicht weniger opportunistisch als ihr Mann.
Karin tritt eine Stelle bei einer Zeitung in einer nahen Stadt an. Schon ihr erster Job ist ein Test ihrer politischen Linientreue, sie ist zu idealistisch und auch zu naiv, um das zu erkennen. Heimlich trifft sie ihren Freund wieder, doch das bleibt nicht unbeobachtet. Am Morgen steht Kurt vor Franks Hauseingang, um seine Tochter abzuholen und nach Hause zu bringen. Unter dem zunehmenden Druck ihrer Eltern und mit der wachsenden Gewissheit, dass sie unter den gegebenen politischen Voraussetzungen weder bei der Zeitung Karriere machen noch einen Studienplatz erhalten wird, bricht Karin ihre Beziehung zu Frank ab. Der junge Mann unternimmt einen Selbstmordversuch, wird ins Krankenhaus gebracht und liegt lange im Koma. Keiner der Ärzte kann Karin sagen, ob Frank überleben wird und unter welchen physischen und psychischen Folgen er zu leiden haben könnte. Karin gibt ihre jetzt ohnehin sinnlose Hoffnung auf eine Karriere auf, aber sie knickt immerhin nicht ein. Sie hat Probleme, irgendeinen Job zu finden, aber sie steht fortan zu Frank. Auch ihr Vater scheint endlich begriffen zu haben, wo die Prioritäten zu setzen sind. Nur im Traum realisiert Karin, „was zu geschehen hat: Vater, Kaderleiter, Parteisekretär und der namenlose Typ von der Sicherheit werden von einer empörten Volksmenge zur Rechenschaft gezogen“. (Frank Beyer)
Als DER VERDACHT im Herbst 1991 ins Kino kam, war die Mauer längst gefallen, die Zuschauer waren zu jener Zeit kaum an DDR-Themen interessiert. So blieb der Film im Werk Beyers bis heute unbekannt – und zeigt doch ein aufschlussreiches Phänomen: Keinem der prominenten DEFA-Regisseure blieb zu Zeiten der DDR das Verbot oder zumindest die Unterdrückung eines seiner Filme erspart, egal ob Frank Beyer oder Konrad Wolf, Kurt Maetzig, Heiner Carow oder Egon Günther. So herrschte gleich nach dem Fall des SED-Regimes die Erwartung, dass genau diese Regisseure nun leidenschaftliche Abrechnungen betreiben würden – doch der Blick zurück im Zorn blieb die Ausnahme. Statt der Wut herrschte Trauer, oft auch nur unterschwellig. Postume Trauer über die Höhe des Preises, den die Menschen für den gescheiterten Aufbau des Sozialismus zu bezahlen hatten. Auch DER VERDACHT ist geprägt vom Gestus schmerzhafter Enttäuschungen. Das lässt ahnen, wie sehr auch die staatskritischen Regisseure und Autoren an eine bessere Zukunft der DDR geglaubt haben.
© Hans-Günther Pflaum
Darsteller: Christiane Heinrich, Michael Nikolaus Gröbe, Michael Gwisdek …
Szenarium: Ulrich Plenzdorf. Musik: Günther Fischer. Kamera: Peter Ziesche. Regie: Frank Beyer